Roman

Leo Perutz (1882–1957): Der schwedische Reiter

Ein nur scheinbar historischer Roman, der das Verhältnis von Rolle und Identität verhandelt, indem er das auf einem Identitätstausch beruhende Rätsel auflöst, wie ein Gutsherr und Soldat 1709 im Krieg gestorben sein und zugleich noch eine Weile gelebt haben muss. Im Unterschied zu Klassikern der Wiener Moderne wird dieses Verhältnis nicht im Modus figuraler Selbstbeobachtung bearbeitet. Vielmehr sind Perutz’ Figuren „wollende und handelnde“ Helden (H.-H. Müller), die sich an Selbst- und Fremderwartungen messen und so zu scheitern drohen. (Julian Schröter)

Erscheinungsjahr: 1936

Begriff: historischer Roman, Identität, Jüngstes Wien, Karl II, Religion, Roman, Russlandfeldzug

Fatma Aydemir (*1986): Dschinns

Aydemirs zweiter Roman erzählt die Geschichte einer deutsch-kurdischen Kernfamilie aus der Perspektive ihrer sechs Mitglieder. Diese treffen nach dem tödlichen Herzinfarkt des Ehemanns/Vaters Hüseyin Yılmaz in dessen zum Ruhestand angeschaffter Eigentumswohnung in Istanbul zusammen und blicken auf ihre je eigenen, durch u.a. Alter, Geschlecht und Sexualität geprägten, (Post-)Migrationserfahrungen zurück. (Sandra Folie)

Erscheinungsjahr: 2022

Begriff: Familienroman, Gastarbeit, Gegenwartsliteratur, Gender, Geschichte, Gesellschaftsroman, Homophobie, Migration, Postmigrantische Literatur, Rassismus, Roman, Sexismus

Shida Bazyar (*1988): Drei Kameradinnen

Bazyars zweiter Roman kreist um die drei Freundinnen und Frauen of Colour Saya, Hani und Kasih, die in einer deutschen Siedlung am Stadtrand aufgewachsen sind. Ihre gemeinsame, von Erfahrungen mit mehrfacher Diskriminierung geprägte Geschichte wird von der unzuverlässigen, die (weißen) Leser:innen wiederholt adressierenden Ich-Erzählerin Kasih niedergeschrieben. Im Zentrum stehen rechter Terror, weiße Erwartungshaltungen und Täter:innen-Opfer-Umkehr. (Sandra Folie)

Erscheinungsjahr: 2021

Begriff: Gegenwartsliteratur, Gender, Geschichte, kritisches Weißsein, Migration, Postmigrantische Literatur, Rassismus, Roman, Sexismus

Marianne Ehrmann (1755-1795): Amalie. Eine wahre Geschichte in Briefen

Briefroman in der Tradition von Empfindsamkeit und Sturm und Drang. Die beiden Briefpartnerinnen Amalie und Fanny disputieren Fragen des Geschlechterverhältnisses und der Frauenbildung. Der Roman schildert den Lebensweg einer früh verwaisten Protagonistin, die in ihrer ersten Ehe Gewalt erlebt und sich schließlich als Schauspielerin verdingt. (Kristin Eichhorn)

Erscheinungsjahr: 1788

Begriff: (weibliche) Autorschaft, Aufklärung, Autobiografischer Roman, Brief, Briefroman, Ehe, Empfindsamkeit, Frauenbildung, Gewalt, Liebe, Roman, Spielsucht, Sturm und Drang, Theater, Weiblichkeit

Else Jerusalem (geb. Elsa Kotànyi, 1876–1943): Der heilige Skarabäus. Prostituierten-Roman 

In dem 700-seitigen Roman kritisiert die Autorin die Kasernierung der Prostituierten im Kaiserreich, dabei setzt sie sich auch von den Stereotypen ab, die naturalistische Schriftsteller entwarfen. Milada wächst mit ihrer Mutter im Milieu auf und wird selbst zur Prostituierten, die sich aber als Besitzerin eines Bordels hocharbeitet. Sie verliebt sich in einen Freier, der ihr die Heirat verspricht. Als sie merkt, dass auch er sie nur ausnutzen möchte, lässt sie sich von seinem Vater eine hohe Summe auszahlen, um die unstandesgemäße Verbindung aufzulösen und eröffnet auf dem Land ein Asyl für Kinder aus ihrem Milieu. Der „Unsittenroman“ wurde mit einem Skandal aufgenommen, hatte bis 1911 rund 22 Auflagen, wurde 1928 verfilmt und 1933 verboten. (Annette Kliewer) 

Erscheinungsjahr: 1909

Begriff: Doppelmoral, Geld, Prostitution, Roman

Gabriele Tergit (Pseudonym für Elise Reifenberg, geb. Elise Hirschmann, 1894–1982): Käsebier erobert den Kurfürstendamm

Der Zeitroman beschreibt die Korruption und den Niedergang der Weimarer Republik: Käsebier, ein Volkssänger, wird von einem Journalisten „entdeckt“. Ganz Berlin macht nun Geschäfte mit ihm. Die Journalistin Tergit kennt den Kulturbetrieb der späten 20er Jahre von innen und karikiert ihn in neusachlicher Manier. (Annette Kliewer) 

Erscheinungsjahr: 1931

Begriff: Mediengeschichte, Neue Sachlichkeit, Reklame, Roman, Weimarer Republik

Caroline de la Motte Fouqué (geb. von Briest, verheiratete von Rochow, wiederverheiratete de la Motte Fouqué, 1773–1831): Magie der Natur. Eine Revolutionsgeschichte 

Der komplex erzählte zeitdiagnostische Roman verbindet Fragen des sozialen Zusammenhalts und der Geschlechterbestimmung mit geschichtsphilosophischen Positionen. Die Französische Revolution dient Fouqué als Ausgangspunkt, um am Leitfaden des Lebens (und Liebens) einer adeligen Familie, die aus Frankreich fliehen muss, Stellung zu Problembereichen der Stabilität einer ‚natürlichen‘ Ordnung trotz staatlicher und gesamtgesellschaftlicher Umbrüche zu beziehen. Der Text fußt auf romantischen Wissensdiskursen und bahnt mit seinen klarsichtig-idealen Protagonistinnen gleichzeitig einer realistischen Erzählpraxis den Weg. (Frederike Middelhoff) 

Erscheinungsjahr: 1812

Begriff: (romantische) Liebe, Adel, Arbeit, Ehe, Exil, Familie, Familienroman, Fluchtmigration, Französisch, Französische Revolution, Gender, Geschichte, historischer Roman, Liebe, Magnetismus, realistisch, Revolution, Roman, Romantik

Klara Viebig (1860–1952): Es lebe die Kunst!

Elisabeth Reinharz kommt vom Land nach Berlin und findet dort zunächst Erfolg. Als sie aber einen biederen Buchhalter heiratet, versagt sie und zweifelt selbst an ihrem Können. Sie erstarrt und entdeckt ihre Gefühle erst, als ihr Kind erkrankt, das sie fast der Kunst geopfert hätte. Völlige Gesundung erlangt sie erst wieder, als sie in ihr Heimatdorf zurückkehrt. Der Roman stellt die Doppelrolle der Frau zwischen Haushalt/Kindererziehung und Beruf/Kunst eindrücklich dar, kommt aber zu einer konservativen Bewertung der eigenen Tätigkeit der Autorin. (Annette Kliewer) 

Erscheinungsjahr: 1899

Begriff: Alter, Beruf, Berufstätigkeit der Frau, Erziehung, Heimat, Heimatliteratur, Kritik an der Stadt, Kunst, Mutterschaft, Roman

Margarethe Elisabeth Milow (1748–1794): Mein Leben. Ein Vermächtnis für meinen Mann und meine Kinder

In den Jahren 1778 bis 1794 sukzessive entstandene autobiografische Schrift der Hamburger Kaufmannstochter Margarethe Elisabeth Milow geb. Hudtwalcker. Der formal heterogene Text rekurriert einerseits auf Modelle der Bekehrungsautobiografie sowie der Chronik und des Hausbuches, nimmt andererseits aber auch Impulse aus der Romanliteratur der Zeit auf (insb. Briefroman). U.a. schildert Milow spezifisch weibliche Erfahrungen wie Niederkünfte und eine Brustkrebsoperation. (Vera Viehöver)

Erscheinungsjahr: 1794/1987; erw. Neuedition 1993

Begriff: Autobiografie, autobiografisch, Bekehrungsautobiografie, Brief, Briefroman, Brustkrebs, Chronik, Ehe, Hamburg, Hausbuch, Mutterschaft, Protestantismus, Religion, Roman

Christa Anita Brück (Pseudonym für Christa Ladisch, geb. Jaab, 1899–1958): Ein Mädchen mit Prokura. Roman.

Thea Iken ist Prokuristin in einer Bank. Ihre Kolleginnen begegnen ihr mit Ablehnung. Die aufkommende Bankenkrise bedroht auch ihre Existenz, sie möchte sich aber um jeden Preis ihre Selbständigkeit bewahren. Als dann in der Bank ein Mord geschieht, gerät sie selbst in Verdacht und wird verhaftet. Brück beschreibt aus eigener Erfahrung das Leben der kleinen Angestellten in der Weimarer Republik. Der Roman wurde 1934 verfilmt. (Annette Kliewer)

Erscheinungsjahr: 1932

Begriff: Berufstätigkeit, Neue Frau, Neue Sachlichkeit, Pseudonym, Roman, Weimarer Republik

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