Novelle

Else Jerusalem (geb. Elsa Kotànyi, 1876–1943): Venus am Kreuz  

Die 80-seitige Novelle stellt den physischen und psychischen Verfall der Prostituierten Garda dar, der es nicht gelingt, sich aus ihrem Beruf zu befreien. Es gibt keine kausal- oder chronologisch kohärente Handlung, sondern assoziative Zeitsprünge und eine oft auf Andeutungen beschränkte Realitätswiedergabe, so dass es für die Leser*innen schwierig ist, zwischen Gardas Wahnvorstellungen und der Wirklichkeit zu unterscheiden. Dabei werden intertextuelle Bezüge zu Sacher-Masochs „Venus im Pelz“, aber auch christlichen Passionsvorstellungen hergestellt und das Thema der weiblichen Hysterie aufgegriffen. Die Schreibart verweist mit der Auflösung des weiblichen Subjekts auf die postmodernen Weiterentwicklungen. (Annette Kliewer) 

Erscheinungsjahr: 1899

Begriff: Doppelmoral, Hysterie, Ich-Verlust, Novelle, Prostitution, Wahnsinn

Grete Meisel-Heß (1879–1922): Fanny Roth. Eine Jung-Frauengeschichte 

Fanny Roth ist eine begabte Geigerin, sie verliebt sich in einen etwas banalen reichen Mann, den sie kurz darauf heiratet. Sie merkt schnell, dass er erwartet, dass sie ihre Kunst aufgeben soll, um nur für ihn da zu sein. Sie verlässt ihn schließlich, weil sie Angst davor hat, schwanger zu werden und sich damit für immer an ihn zu binden. Die jüdische Autorin aus Österreich lässt in die Novelle auch ihre Untersuchungen zur Sexualwissenschaft einfließen, was damals als skandalös galt. (Annette Kliewer) 

Erscheinungsjahr: 1902

Begriff: Ehe, Kunst, Musik, Novelle, Weibliche Berufstätigkeit

Gabriele Reuter (1859–1941): Frauenseelen. Novellen

In sieben Novellen stellt Reuter unterschiedliche Frauen dar, die alle versuchen, sich von den festen Geschlechterklischees zu lösen. Dabei müssen sie aber immer wieder erkennen, dass sie selbst daran schuld sind, wenn sie sich den Männern und deren Erwartungen an sie als Frau unterwerfen. Gerade, weil sie so kurz sind, eignen sich diese Texte für eine Neuentdeckung der Bestseller-Autorin. (Annette Kliewer)

Erscheinungsjahr: 1910

Begriff: Bestseller, Emanzipation, Frauenbewegung, Geschlechterrollen, Kaiserreich, Novelle, Novellen, Realismus, weibliche Sexualität

Ilse Frapan (1849–1908): In der Stille. Novellen und Skizzen

Zwei Novellen zeigen Probleme von bürgerlichen Frauen um 1900: In „Sie“ wird Sophie Witwe und freut sich, endlich frei zu sein von ihrem tyrannischen, antifeministischen Mann. Sie findet einen Brief seiner Pariser Mätresse, die ihn um Geld bitte. Sophie schickt ihr das Geld, zusammen mit einer Abrechnung gegen ihren verstorbenen Mann und appelliert so an die weibliche Solidarität. In „Abgründe“ geht es um die berühmte Schauspielerin Senta: Sie liebt Rudolf, der zwar als sanfter Mann auftritt, sie aber in der Ehe von ihrem Beruf „erlösen“ will. Sie will ihn verlassen, um wieder frei und selbständig zu sein. Schließlich stürzt er sich in einen Abgrund, weil er glaubt, dass sie ihn nicht mehr liebe. Sie lebt weiter frei. Beide Texte zeigen starke Frauen, denen es gelingt, sich gegen die Erwartungen ihrer Umwelt durchzusetzen.  (Annette Kliewer)

Erscheinungsjahr: 1897

Begriff: Beruf, Berufstätigkeit, Brief, Ehe, Geld, Jahrhundertwende, Liebe, Naturalismus, Novelle, Novellen

Maria Janitschek (1859–1927): Die neue Eva 

Der Novellen-Band wurde 1909 wegen der sexuellen Offenherzigkeit verboten. Spannend ist die ambivalente Darstellung der Frauenbewegung durch die Autorin: Einerseits kritisiert sie patriarchale Frauenvorstellungen, andererseits begegnet sie aber auch feministischen Freiheitsfantasien verschiedener studierter und dominanter Frauen eher ironisch-abwertend. (Annette Kliewer)

Erscheinungsjahr: 1902

Begriff: Berufstätigkeit, Ehe, Frauenbewegung, Freiheit, Geld, Lesbische Liebe, Novelle, Novellen, Sexualität, Sexuelle Freiheit, Symbolismus

Frieda von Bülow (1858–1909): Die stilisierte Frau. Sie und er.

Die zwei Novellen thematisieren Auswege aus den Geschlechterkämpfen der Jahrhundertwende um 1900. In „Die stilisierte Frau“ heiratet ein Graf die naive junge Ludwina, die er zur asexuellen „femme fragile“ stilisiert. Er selbst muss asketisch leben, weil er an einer Geschlechtskrankheit leidet. Ludwina will aber ein Kind und fängt schließlich ein Verhältnis mit dem Leibarzt an. In „Sie und Er“ sucht sich Maria Margarethe einen Mann, der ihr den Haushalt führen soll, damit sie ein gemütliches Zuhause vorfindet, wenn sie von ihrer anstrengenden Berufstätigkeit als Fotografin nach Hause kommt. Mit dieser Anspielung auf das berühmte Fotostudio „Hofatelier Elvira“ von Anita Augspurg und Sophie Goudstikker findet sich vielleicht der erste „Hausmann“ der Literaturgeschichte. (Annette Kliewer)

Erscheinungsjahr: 1902

Begriff: Berufstätigkeit, Emanzipation, femme fragile, Geschlechterrollen, Jahrhundertwende, Novelle

Mela Hartwig (geb. Melanie Hess, verh. Spira, 1893–1967): Der Phantastische Paragraph

Die Novelle nimmt den juridischen und medizinischen Diskurs um Abtreibung der 20er Jahre auf. Die Auswirkungen des Abtreibungsparagraphen, wie die Pathologisierung und Kriminalisierung von Frauen, werden anhand der Scheinschwangerschaft der Protagonistin Sabine Seltsam dargestellt. Anhand unterschiedlicher institutionalisierter Figuren (Hebamme, Arzt, Richter) wird das patriarchale System und weibliche Komplizenschaft vorgeführt. (Marcella Fassio)

Erscheinungsjahr: 1928

Begriff: Abtreibung, Gericht, Medizin, Novelle, Schwangerschaft, Weimarer Republik

Lou Andreas-Salomé (1861–1937): Im Zwischenland. Fünf Geschichten aus dem Seelenleben halbwüchsiger Mädchen

Die ihrer Kindheitsfreundin Emma Wilm gewidmeten fünf Novellen spielen in Russland und kreisen um adoleszente Figuren im Alter von 10 und 16 Jahren. Das hier geschilderte ,Zwischenland‘ weiblicher Adoleszenz wird von Enttäuschungen dominiert, insbesondere die erste Liebe betreffend, aber auch hinsichtlich familiärer Beziehungen, etwa zwischen Vater und Tochter oder zwischen Geschwistern. (Iris Schäfer)

Erscheinungsjahr: 1902

Begriff: Adoleszenz, Alter, Desillusionierung, Geschichte, Liebe, Novelle, Novellen, Novellensammlung, Seelenleben, weibliche Adoleszenz

Lou Andreas-Salomé (1861–1937): Menschenkinder

Die ihrem Ehemann gewidmete, 10 Novellen umfassende Sammlung fokussiert höchst individuelles weibliches Sozialisationsbemühen in der patriarchalen Gesellschaft des Fin de Siècle. Die häufig als Schauplatz gewählten Transiträume betonen effektvolle Aufeinandertreffen diametraler Ansichten – insbesondere zwischen weiblichen und männlichen Figuren – , aber auch die Flüchtigkeit gesellschaftlicher Diskurse wie jenem um die s. g. ‚Frauenfrage’. (Iris Schäfer)

Erscheinungsjahr: 1898

Begriff: Ehe, Emanzipation, Frauenrechtsbewegung, Identitätssuche, Liebe, Menschen, Novelle, Novellen, Novellensammlung, weibliche Adoleszenz

Hedwig Dohm (geb. Schlesinger, 1831–1919): Werde, die du bist

Die Novelle besteht aus einer kurzen Rahmenerzählung aus der Perspektive des behandelnden Arztes in einer Psychiatrie und einer längeren Binnenerzählung in Form eines Tagebuchs. Darin reflektiert die Protagonistin – eine ältere, verwitwete Frau – ihr durch Fremdbestimmung geprägtes Leben und erzählt von ihren Selbstfindungsversuchen u.a. auf einer Italienreise. (Mareike Brandtner)

Erscheinungsjahr: 1894

Begriff: Alter, Emanzipation, Erzählung, Frühe Moderne, Geschlechterrollenkritik, Mutterschaft, Novelle, Psychiatrie, Selbstfindung, Tagebuch, Tod, Witwenschaft

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