Erzählung

Christa Wolf (1929–2011): Kein Ort. Nirgends

Diese Erzählung fingiert eine Begegnung zwischen Karoline von Günderrode und Heinrich von Kleist bei einer Teegesellschaft in Winkel am Rhein. Der „Projektionsraum Romantik“ (1982) dient Wolf dazu, die uneingelösten Ideale der Französischen Revolution aufzurufen und mit den Protagonisten an die Hoffnung auf Selbstverwirklichung im Leben und Schreiben zu erinnern. (Carola Hilmes)

Erscheinungsjahr: 1979

Begriff: Erzählung, Fluchtpunkt Romantik, Französisch, imaginäre Emanzipationsgeschichte, kleiner Roman, Revolution, Roman, Romantik, Selbstverwirklichung

Anna Seghers (Pseudonym für Netty Reiling; 1900–1983): Aufstand der Fischer von St. Barbara

Der Sozialrevolutionär Hull, eine charismatische Außenseiterfigur, wie sie für das Frühwerk von Seghers charakteristisch ist, stiftet die stark ausgebeuteten Fischer zum Aufstand an, der mit Gewalt von der Staatsmacht niedergeschlagen wird. Dieser kleine, episodenhafte Roman erschien unter dem Pseudonym A. Seghers u. wurde 1929 mit dem Kleistpreis ausgezeichnet. (Carola Hilmes)

Erscheinungsjahr: 1928

Begriff: Erlöserfiguren, Erzählung, expressionistisch, Gesellschaftskritik, Gewalt, kleiner Roman, Pseudonym, realistisch, Revolution, Roman

Dualla Misipo (1901–1973): Der Junge aus Duala. Ein Regierungsschüler erzählt…

Die Mischung aus (postkolonialem) Roman, Autobiografie und Ethnografie ist aus der Perspektive des kamerunischen Leichtathleten und Medizinstudenten Ekwe Njembele erzählt, der vor dem Ersten Weltkrieg zu Ausbildungszwecken nach Deutschland kam. Die Rahmenerzählung wird häufig durch Erinnerungen des erwachsenen Erzählers an seine Kindheit in der deutschen Kolonie Kamerun unterbrochen. 1973 (Erstpublikation; Kraus Reprint); 2022 (neue Ausgabe; Rüdiger Köppe Verlag). (Sandra Folie)

Erscheinungsjahr: 1920er–1960er (verfasst); 1973 (Erstpublikation); 2022 (neue Ausgabe)

Begriff: Autobiografie, Bildung, Erzählung, Kolonialismus, Liebesbeziehung zwischen einem Schwarzen Mann und einer weißen Frau, Medizin, Migration, Rassismus, Roman, Schwarze deutsche Literatur

Lou Andreas-Salomé (1861–1937): Fenitschka

Zentrum der Erzählung (vö. m. Eine Ausschweifung) bildet die intensive Bekanntschaft der studierten und verlobten Fenitschka Iwánownas mit dem Psychologieabsolventen Max Werner im Paris des Fin de Siècle. Entlang der Geschichte Fenias potenzieller Emanzipierung werden die an Weiblichkeit gerichteten sozialen Erwartungen und Hoffnungen zur Disposition gestellt. Der Erzählanlage legt Andreas-Salomé indes ein biologisch begründetes Verständnis von Heim, Gemeinschaft und Familie zugrunde. (Marius Reisener)

Erscheinungsjahr: 1898

Begriff: Emanzipation, Erzählung, Familie, Gericht, Geschichte, Weiblichkeit, Zuhause

Hedwig Dohm (geb. Schlesinger, 1831–1919): Werde, die du bist

Die Novelle besteht aus einer kurzen Rahmenerzählung aus der Perspektive des behandelnden Arztes in einer Psychiatrie und einer längeren Binnenerzählung in Form eines Tagebuchs. Darin reflektiert die Protagonistin – eine ältere, verwitwete Frau – ihr durch Fremdbestimmung geprägtes Leben und erzählt von ihren Selbstfindungsversuchen u.a. auf einer Italienreise. (Mareike Brandtner)

Erscheinungsjahr: 1894

Begriff: Alter, Emanzipation, Erzählung, Frühe Moderne, Geschlechterrollenkritik, Mutterschaft, Novelle, Psychiatrie, Selbstfindung, Tagebuch, Tod, Witwenschaft

Marie von Ebner-Eschenbach (1830–1916): Das Gemeindekind

Von der Autorin als Erzählung kategorisiert, weist sie zugleich Elemente einer Novelle, des Bildungsromans und des Krimis auf. Am Beispiel des Gemeindekinds Pavel Holub wird über einen Zeitraum von zehn Jahren (1860-1870) beobachtet, inwiefern ein schwer stigmatisierter Jugendlicher die Vorurteile der Gesellschaft und sein problematisches Milieu überwinden kann. Das Wunder, das Ebner-Eschenbach inszeniert: Es kann klappen, ungeachtet einer verurteilungswütigen Masse und maroder karitativer Institutionen (vor allem der Kirche). Psychologisch versiert und in Teilen von einem düsteren Naturalismus durchwoben, reflektiert die Erzählung über Aufstiegschancen unter den denkbar schlechtesten Bedingungen, wobei im Individuellen stets Hoffnung liegt – sowohl als Hilfe von Einzelnen als auch in Form von komplexen psychologischen Wendungen. (Raphael Stübe)

Erscheinungsjahr: 1887

Begriff: Bildung, Bildungsroman, Diskriminierung, Erzählung, Familie, Milieustudie, Naturalismus, Novelle, Realismus, Roman, Stereotype, Trauma

Johanna Spyri (1827–1901): Der Toni von Kandergrund

Die Erzählung zeigt einen Jungen, der aufgrund von traumatischen Erlebnissen (Vaterverlust, Kinderarbeit, Einsamkeit, beängstigende Naturereignisse) die Sprache verliert, apathisch wird und in eine Klinik geschickt werden muss. Dass und wie ihm geholfen werden kann, wird unaufdringlich, aber eindrücklich erzählt – und dies in einer Zeit, in der psychische Erkrankungen in den neu eingerichteten Kliniken zu behandeln versucht werden, Patient:innen also in Institutionen untergebracht werden. (Martina Wernli)

Erscheinungsjahr: 1882

Begriff: Arbeit, Erzählung, Gender, Gericht, Psychiatrie, Sprache, Trauma

Adele Schopenhauer (1797–1849): Haus-, Wald- und Feldmärchen

Märchensammlung. Der Einführung, die ironisch eine gelehrte Salon-Diskussion über die Gattung des Märchens darstellt, folgen drei sprachlich und im Aufbau sehr unterschiedliche Erzählungen. Durch menschliche Begegnungen mit Elfen, Poltergeistern und Irrlichtern reflektieren sie die Entwicklung der deutschen Literatur in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. (Francesca Fabbri)

Erscheinungsjahr: 1844

Begriff: Erzählung, Erzählungen, Gattungspoetik, Literaturgeschichte, Märchen, Revolution, Romantik, Tiere, Tieren

Luise Mühlbach (Pseudonym für Clara Mundt, geb. Müller, 1814–1873): Das fluchbeladene Haar

Die Binnenerzählung der Novelle entfaltet eine Geschichte kolonialer Schuld anhand eines Fluchs, der sich über mehrere Generationen einer britischen Familie erstreckt und diese schließlich auslöscht: Hatte die – selbst mütterlicherseits von Schwarzen abstammende – Ahnherrin in der Karibik eine Sklavin gezwungen, ihre Tochter mit ihren Haaren zu Tode zu peitschen, so gehen die nachfolgenden Generationen sämtlich an ihren Haaren zugrunde. Die Erzählung vom Niedergang der Familie – mit genretypischen Effekten des Schauers – ist aufgrund der Abstammung der Schuldigen unter rassismuskritischen Gesichtspunkten nicht ohne Ambivalenz, war gleichwohl offensichtlich provokant, sodass in der Journalversion eine zweite Rahmenerzählung die Drastik der geschilderten kolonialen Gewalt (vorgeblich?) zur Humoreske abzuschwächen versucht. (Florian Kappeler)

Erscheinungsjahr: 1844 (Erstpublikation in Zeitschriften; Novellensammlung: 1846)

Begriff: Degeneration, Ehe, Erzählung, familiäre Erbschuld, Familie, Geschichte, Gewalt, Humor, Kolonialismus, Novelle, Rassismus, Schauerliteratur, Tod

Helmina von Chézy (geb. von Klencke, in erster Ehe verh. von Hastfer, 1783–1856): Jugendschicksale, Leben und Ansichten eines papiernen Kragens, von ihm selbst erzählt

Dingerzählung, in der sowohl das papierne Material als auch der Warencharakter von Literatur in der entstehenden Konsumgesellschaft reflektiert wird. Innerhalb dieser genrespezifischen zeitdiagnostischen Konstellation erfolgt eine Positionierung weiblicher Autorschaft als Erwerbsarbeit im industriellen Zeitalter. (Christiane Holm)

Erscheinungsjahr: 1829

Begriff: Alter, Arbeit, Autorschaft, Dingerzählung, Ehe, Erwerbsarbeit, Erzählung, Romantik, Spendenaktion

Nach oben scrollen